Jugendliche zur Kommunalwahl motivieren – im Schatten rechtspopulistischer Parteien
Im Frühjahr kommenden Jahres ist es wieder soweit – Parteien aller Couleur werben mit Informationsständen und Veranstaltungen um die Gunst der Wählerstimmen bei der Kommunalwahl. Jugendliche fühlen sich von vielen dieser Formate oft nicht angesprochen. Deshalb bieten Fachkräfte der offenen Jugendarbeit, aber auch Lehrkräfte andere, jugendgerechte Formate an, um junge Menschen zu informieren.
Doch diese Angebote werden heute zurückhaltender und weniger gemacht. Grund dafür ist die fehlende Erfahrung der Anbieter mit Rechtspopulisten. Sie stehen vor der Herausforderung, wie sie mit politischen Akteurinnen und Akteuren mit einer anti-europäischen Haltung umgehen sollen. Oder welche Reaktionen angemessen sind, wenn Politikerinnen und Politiker Veranstaltungen mit Jugendlichen als Bühne für fremdenfeindliche Äußerungen nutzen.
Dazu befragt die GAR Angelika Vogt, Leiterin der Fachstelle „kompetent vor Ort. Gegen Rechtsextremismus“ (kvO) imDemokratiezentrum Baden-Württemberg.
GAR: Frau Vogt, Sie arbeiten bereits seit vielen Jahren sowohl im Themenfeld Rechtsextremismus als auch im Themenfeld Jugendbeteiligung. Was raten Sie Fachleuten der Jugendarbeit in Zeiten, in denen Populismus Hochkonjunktur hat, wenn es darum geht, mit Jugendlichen Informationsveranstaltungen zu Wahlen durchzuführen?
Vogt: Wichtig ist tatsächlich, eine solche Veranstaltung sehr gut vorzubereiten und vorab zu bedenken, welche Situationen auftreten könnten. Die erste Frage ist dabei, welches Format wird gewählt. Allzu häufig orientieren sich Jugendliche an den üblichen Formaten wie einer Podiumsdiskussion oder einem offenen Interview. Das kann man machen, ist meines Erachtens aber nicht sehr jugendgerecht. Über eine Redezeitbegrenzung und eine starke Moderationspersönlichkeit – hier ist ein Profi sehr angebracht – lässt sich verhindern, dass Jugendliche von undemokratischen Positionen überwältigt werden. Sollten tatsächlich fremdenfeindliche Äußerungen fallen bzw. offen rassistisch gehetzt werden, dann muss dem laut und deutlich widersprochen werden. Darauf muss man sich vorbereiten. Auch dafür ist einerseits eine starke Moderation gut. Aber andererseits kann eigentlich jeder und jede sagen, „halt, stopp, das ist nicht meine Meinung! Aus meiner Sicht ist das menschenverachtend“.
Eine inhaltliche Diskussion mit Populisten zu führen ist immer schwierig. Sie verfolgen ihre Strategie, vereinfachen, ignorieren Sachverhalte und behaupten – häufig ohne Belege. Sie sind darin geübt und überlegen. Argumentativ ist meist nichts zu erreichen, da die Hauptargumente nur emotional und nicht rational begründet sind. Es geht ihnen nicht darum, sich mit Fakten auseinanderzusetzen, sondern sie wollen hetzen. Hier sind nicht nur Jugendliche schnell überfordert.
Ich glaube, dass man über die Wahl anderer Formate, Jugendliche viel besser einbinden kann. Beispielswiese könnte man Kandidatinnen und Kandidaten nach einander einladen und einen Austausch mit Jugendlichen herstellen. Schwierigen Kandidat*innen sitzen dann gut vorbereitete Jugendliche gegenüber. Die Jugendlichen sollten ihre Schwerpunkte auf jugendrelevante Themen legen, wie Fragen, was die Kommune denn plant, um für Jugendliche attraktiv zu bleiben und wie sie gedenkt, die Jugendlichen in diese Planungen einzubeziehen. Oder wie sich ein Kandidat zur Wahlaltersabsenkung bei Europa- und Bundestagswahlen positioniert. Wie sich eine Kandidatin für schulische Belange und den Einbezug von Jugendlichen positioniert. Odes es könnten Videointerviews mit den Politiker*innen gedreht werden, um diese auf diese Weise in einer Veranstaltung vorzustellen. Dann
hat man ausreichend Zeit, Aussagen zu verstehen, ihren Gehalt abzuwägen und Rückfragen zu stellen bzw. eine Entgegnung zu formulieren. Es gibt hier viele Herangehensweisen. Die Kolleginnen und Kollegen in der Jugendarbeit sind da aber gut aufgestellt und bringen ein breites Methodenspektrum mit.
GAR: Sie haben die Frage gerade schon angesprochen, wen kann und muss man einladen – wen nicht? Gibt es dazu eine Art Faustregel?
Vogt: Es gibt dazu eine klare Vorgabe des Kultusministeriums, die besagt, dass bei Mitwirkung von Vertreterinnen und Vertretern der im Bundestag und Landtag vertretenen Parteien Schulen keine einseitige Auswahl vornehmen dürfen. Außerdem heißt es dort: „Von der Mitwirkung von Abgeordneten und anderen Persönlichkeiten des politischen Lebens im Rahmen des Unterrichts an den Schulen ist in den letzten acht Wochen vor Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Bundestagswahlen sowie Wahlen zum Europaparlament abzusehen.“ Diese Informationen findet man gut aufbereitet auf der Homepage der Landeszentrale für politische Bildung. Dort sollte man sich informieren. (Zitat: Mitwirkung von Fachleuten aus der Praxis im Unterricht Bekanntmachung des Kultusministeriums Baden-Württemberg vom 29. Oktober 1999 (K.u.U. S. 252/1999): Quelle: http://www.kommunalwahl-bw.de/faq_wahlkampf.html)
Kontakt und direkter Austausch mit Politikerinnen und Politikern und Jugendlichen ist sehr wünschenswert. Doch sollte diese Karenzzeit eingehalten werden. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Sinnvoll wäre, mit Jugendlichen einmal Wahlprogramme auf jugendrelevante Themen zu durchforsten und die jeweiligen Positionen festzuhalten. Oder eine Ausstellung zu Wahlkampfplakaten – was wird denn versprochen? Für wen? Und wie soll es umgesetzt werden. Damit werden junge Menschen dazu gebracht, sich selbst zu informieren und Aussagen auch mal in Frage zu stellen.
Grundsätzlich gilt natürlich der Beutelsbacher Konsens, in dem das Überwältigungsverbot Jugendlicher festgeschrieben ist. Vielmehr geht es eben darum, Jugendliche zu unterstützen, zu einem eigenen, selbstständigen Urteil zu kommen.
GAR:. Wie kann ich als Veranstalterin bzw. Veranstalter Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Veranstaltung nicht von einzelnen politischen Akteurinnen und Akteuren dazu genutzt wird, Hassbotschaften oder Fake News zu streuen?
Um Veranstaltungsstörungen zu begegnen, ist es wichtig, vorab klare Diskussionsregeln zu vereinbaren und diese bei Veranstaltungsbeginn auch mitzuteilen. Werden Störungen massiver, muss das Hausrecht angewendet werden. Dazu muss man natürlich wissen, bei wem das liegt. Als Veranstalter*in in eigenen Räumen ist das klar, weiche ich aber in andere Räume aus, muss das mit dem Vermieter geklärt werden. Gegebenenfalls kann man sich das Hausrecht für eine Veranstaltung übertragen lassen.
Wird befürchtet, dass falsche Angaben verbreitet werden, könnte man einige Jugendliche beauftragen, einen Faktencheck in Realzeit via Internet durchzuführen und diesen dann öffentlich einzubringen.
Wichtig ist natürlich, sich über aktuelle kommunale Themen vorab zu informieren, damit darauf Bezug genommen werden kann.
GAR: Dem Beutelsbacher Konsens entsprechend dürfen Fachkräfte der Jugendarbeit keinen politischen Einfluss ausüben. Kann ihnen ein Wortbeitrag oder eine Zurechtweisung als politische Einflussnahme ausgelegt werden? Verbietet es sich nicht sogar, dass Betreuerinnen und Betreuer sich aktiv an solchen Diskussionen beteiligen?
Vogt: Die Beteiligung in einer öffentlichen Diskussion ist kein Problem, so lange es klar und deutlich als eigene Meinung geäußert wird. Wichtig ist, dass sie in ihrer Arbeit ihr Vertrauensverhältnis und ihren Einfluss auf Jugendgruppen nicht dazu nutzen, ihre persönlichen politischen oder religiösen Ansichten zu verbreiten.
Gerade bei jugendlichen Bezugspersonen ist es jedoch wichtig, dass diese sich für demokratische Werte und Menschenrechte einsetzen, Stellung beziehen und Zivilcourage zeigen. Sie sind wichtige Vorbilder und es wird wahrgenommen, ob sie einer fremdenfeindlichen Äußerung widersprechen oder nicht.
GAR: Welche Unterstützung bietet das Demokratiezentrum für Mitarbeitende in der Jugendarbeit, die unsicher sind, Veranstaltungen durchzuführen?
Vogt: Wir beraten gerne, wenn es darum geht, die Lage vor Ort einzuschätzen, Ideen oder Formate zu entwickeln. Langfristig setzen wir mit dem Programm „Jugend BeWegt – Politik konkret!: lokal. wirksam. vernetzt.“ darauf, Strukturen politischer Beteiligung für Jugendliche voranzubringen.
Unsere nächste Förderphase beginnt im September 2018, dann wieder im März 2019. Außerdem informieren wir über die Möglichkeit bei der Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung nach geschulten Multiplikatoren zu fragen, die Veranstaltungen zu den Kommunalwahlen moderieren. Kontakt: Monja Jegler <jegler@kinder-jugendbeteiligung-bw.de>
Falls tatsächlich konkrete rechtspopulistische, rassistische oder antisemitische Vorfälle befürchtet werden oder schon aufgetreten sind, verfügen wir über ein Netzwerk an Beraterinnen und Beratern, die vor Ort unterstützen und beraten.
GAR: Vielen Dank für diesen Blick auf die aktuelle Situation bei der Planung von politischen Informationsveranstaltungen für Jungedliche. Wir veröffentlichen die von Ihnen genannten Kontaktadressen.
Für Rückfragen zum Programm kompetent vor Ort: vogt@jugendstiftung.de
Für Rückfragen zum Programm „Jugend BeWegt – Politik konkret!: lokal. wirksam. vernetzt.“ schmitt@jugendstiftung.de und vogt@jugendstiftung.de