In einer GAR BW Veranstaltung sind der GAR-Vorstand mit Rätinnen & Räten der Frage nachgegangen, mit welchen Problemen ehrenamtliche Kommunalpolitiker*innen zu kämpfen haben und wie das kommunale Ehrenamt attraktiver werden kann.
Mit den gewonnenen Erkenntnissen bezieht die GAR BW mit einem Antrag zum Grünen-Landesparteitag im Oktober 2023 Stellung:
Die kommunale Ebene ist zentral wichtig für unsere Demokratie. Ausgestattet mit den besten Vertrauenswerten aller politischen Ebenen, gestalten ehrenamtliche Gemeinderät*innen, Kreisrät*innen und Regionalrät*innen ganz konkret unser nächstes Umfeld. Dafür gilt Ihnen unser aller Respekt und Unterstützung.
Dementsprechend wollen wir das kommunalpolitische Mandat für die Ehrenamtlichen attraktiver gestalten. Unsere Gesellschaft, unsere Art zu arbeiten und zu leben und auch die Art und Weise, wie das Ehrenamt gelebt wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert.
Es wird also Zeit für einen Aufbruch, um den neuen Bedürfnissen entgegenzukommen, mehr Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern, die Wahrnehmung des kommunalpolitischen Mandats und vor allem dessen Vereinbarkeit mit dem privaten und beruflichen Leben zu erleichtern. So können wir auch die Vielfalt in unseren kommunalen Gremien in ganz Baden-Württemberg und allen Kommunen, und seien sie noch so unterschiedlich, verbessern.
Diese weisen statistisch gesehen einen Mangel an Vielfalt auf. Beispielsweise sind nur knapp mehr als ein Viertel der Ratsmitglieder weiblich. Doch dies ist nicht die einzige Gruppe, die nicht ausreichend repräsentiert ist. Beispielsweise auch Eltern kleinerer Kinder, Menschen mit Behinderungen oder deren Angehörige, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen unter 40 Jahren finden sich seltener im Gemeinderat. Mit der Reform des Kommunalwahlrechts sind wir in Baden-Württemberg absolute Vorreiter in ganz Deutschland und ermöglichen zukünftig die Kandidatur für alle Wahlberechtigten ab 16 Jahren. Das ist eine große Chance für die Verjüngung der Räte, die wir nun mit Leben füllen müssen.
In unseren Parteistrukturen unterstützen wir Grüne die Vielfalt in den Räten unter anderem durch das Vielfaltsprogramm und Maßnahmen der Frauenförderung.
Es braucht aber auch strukturelle Veränderungen für die Kommunen, um noch mehr Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern.
Die Zukunft ist digital – hybride Ratssitzungen und Livestreams
Während der Corona-Pandemie haben die Kommunen erneut ihre Problemlösungsfähigkeit unter Beweis gestellt und haben zügig Möglichkeiten für digitale Gremiensitzungen geschaffen. Die Möglichkeit, Sitzungen hybrid zu gestalten, ermöglicht sowohl private als auch berufliche Flexibilität.
Wir sollten aus diesen Möglichkeiten lernen und sie weiter ausbauen. Die technischen Systeme sind vor Ort mehrheitlich schon da. Jetzt gilt es, hybride Sitzungen rechtssicher zu gestalten. Hier hat das Land Lösungen für den rechtlichen Rahmen und die Rechtssicherheit zu erarbeiten.
Ebenso hat das Land die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtssicherheit für die Online-Übertragung von Gemeinderatssitzungen zu konkretisieren und die Kommunen bei Fragen hierzu zu unterstützen.
Im Grundsatz halten wir die Präsenz für die erstrebenswerte Form, in der mehrheitlich der Sitzungsdienst geleistet werden sollte.
Weniger ist mehr: Für eine Begrenzung der Sitzungszeit und Redezeitbeschränkungen
Wir setzen uns vor Ort dafür sein, dass mit der Sitzungszeit verantwortungsvoll umgegangen wird. Wir ermutigen dazu, in jeder Kommune vor Ort Begrenzungen der Sitzungszeit festzulegen. Nach 21 Uhr sollten daher nur mit Einstimmigkeit des Rates neue Tagesordnungspunkte festgelegt werden dürfen.
Weiter sprechen wir uns vor Ort und auf die jeweilige Kultur im Rat angepasst für die Beschränkung der Redezeit, bei Wortbeiträgen sowie bei Haushaltsreden aus.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und Vereinbarkeit mit Schule, Studium und Ausbildung
Um jungen Menschen die Teilhabe in kommunalen Gremien besser zu ermöglichen, fordern wir, dass neben Arbeitnehmer*innen und Beamt*innen auch Auszubildende, Schüler*innen und alle Studierenden einen Rechtsanspruch auf Freistellung, für die Ausübung des Mandats, erhalten. Zudem soll für Studierende, ab einer einjährigen Mitgliedschaft in einem kommunalpolitischen Gremium, parallel zum Studium, die Prüfungsfristen sowie die Regelstudienzeit um zwei Semester verlängert werden. Dies ist entscheidend, da aufgrund von festen Sitzungsterminen nicht immer alle erforderlichen Vorlesungen innerhalb der Regelstudienzeit belegt werden können. Des Weiteren ist es an der Zeit, im Hochschulzulassungsgesetz ein kommunalpolitisches Mandat als Grund für eine Ortsgebundenheit anzuerkennen, um die Vereinbarkeit von Studium und Kommunalpolitik besser zu ermöglichen.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und Vereinbarkeit mit Care-Arbeit
Viele Interessierte sehen angesichts familiärer Verpflichtungen von der Kandidatur für ein kommunales Mandat ab. Damit geht sehr viel Expertise für unsere Gremien verloren. Bezüglich des Ausgleiches von Care-Arbeit, meist Babysitting, gibt es in den einzelnen Kommunen sehr unterschiedliche Handhabungen. Wir sind der Überzeugung, dass der beste Weg die Festlegung von Pauschalen in der Entschädigungssatzung sind und unterstützen unsere Kommunalpolitikerinnen, diese vor Ort dementsprechend zu ändern.
Dabei ist es uns wichtig, dass der gesamte Care-Bereich abgedeckt ist – also nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch die Betreuung zu pflegender Angehöriger.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und die Anwesenheit – Ein einfacher Tausch
Im Idealfall finden Sitzungen in Präsenz und vor Ort statt. Dies ist aber nicht immer möglich. Insbesondere in Zeiten, in denen das Ehrenamt wegen Krankheit oder beruflichen Verpflichtungen dauerhaft nicht in Präsenz stattfinden kann, bedarf es einer neuen Lösung. Kann eine Rätin /ein Rat absehbar für mehrere Monate nicht in Präsenz an den Sitzungen teilnehmen, kann sie/er für einen begrenzten Zeitraum von einem halben Jahr ihr Mandat an die/den jeweilige*n Nachrücker*in abgeben. Kehrt die Rätin/ der Rat zurück, gibt die/der Nachrücker*in das Mandat wieder ab.
Attraktivität des Fraktionsvorsitz
Die Arbeit als Fraktionsvorsitzende*r ist oftmals noch zeitaufwändiger und intensiver. Neben den Zulagen ist es uns wichtig, Fraktionsvorsitzende insbesondere bei organisatorischen Aufgaben zu unterstützen. Aufgaben wie die Terminkoordination, Raumsuche oder schlicht das Verwalten und Verteilen von Mails und Post sollen zukünftig in Kommunen ab 20 000 Einwohnenden den Anspruch auf eine Geschäftsstelle haben. Diese ist direkt bei der Kommune angestellt. Der Umfang dieser Stelle soll vor Ort per Gemeinderatsbeschluss festgelegt werden.
Kommunikation und Berichterstattung stärken
Mit großer Sorge sehen wir die abnehmende Leserschaft und den zunehmenden ökonomischen Druck auf die Tageszeitungen, der oftmals die Streichungen innerhalb der Lokalredaktionen oder Streichung von Berichterstattung zur Folge hat. Über die Tageszeitungen läuft die meiste Berichterstattung über Kommunalpolitik.
Uns ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen über die Entscheidungen vor Ort informiert sind. Deswegen setzen wir uns auf kommunalpolitischer Ebene dort, wo die Lokalredaktionen nur noch eingeschränkt berichten können, für eine Vollverteilung des Amtsblatts ein. Dieses soll über kommunalpolitische Entscheidungen informieren und den Fraktionen Raum für die Darstellung ihrer Arbeit und ihrer Meinung bieten, aber explizit keinen Zeitungscharakter haben.
Schutz vor Hass und Hetze: Wir bleiben dran!
Immer mehr Kommunalpolitiker*innen im Haupt- wie auch im Ehrenamt sehen sich Angriffen ausgesetzt. Für ihren Schutz haben wir Grüne schon einiges erreicht.
Zukünftig steht auf den Wahllisten nicht mehr die volle Anschrift der Kandidierenden. Zudem haben wir die bestehende Beratungsstelle für Betroffene im Landeskriminalamt ausgebaut: neben einer polizeilichen und juristischen Beratung erhalten jetzt auch Betroffene und ihr enger Familienkreis eine psychosoziale Erstberatung. Diese soll helfen, die passende Unterstützung zu finden.
Mit dem Kabinettsbeschluss „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ setzen wir im Land ein klares Zeichen. Und unterstützen insbesondere auch unsere Kommunalpolitiker*innen.
Wir werden weiter intensiv an diesem Thema arbeiten und insbesondere im engen Austausch mit den Betroffenen weitere Bedarfe eruieren.
Daher fordern wir eine jährliche Sondersitzung des Kabinettsausschusses speziell zum Thema „Hass und Hetze gegen Kommunale“. Gemeinsam mit betroffenen haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen, den Kommunalen Landesverbänden, Vertreter*innen der Landespolitik, der Polizei, sowie wissenschaftlicher Expertise wollen wir an zusätzlichen Lösungsstrategien und Empowerment arbeiten.