Katastrophenvorsorge vor Ort: Wie geht das?

Katastrophenschutz als Thema in der Kommunalpolitik - von Sarah Heim

Es ist eindeutig: Der letzte Bericht des Weltklimarats stellt fest, dass wir die Folgen des Klimawandels spüren werden. Umso wichtiger sind jetzt konsequenter Klimaschutz und echte Maßnahmen der Klimaanpassung. Gleichzeitig müssen wir uns aber auf mehr Extreme einstellen und Vorsorge leisten – insbesondere vor Ort: Extremwetter-Ereignisse treten häufiger, spontaner und stärker auf. Leider hat Deutschland noch kein ausgereiftes System der Katastrophenvorsorge. Unsere Strukturen sind vor allem reaktiv, anstatt Vorsorge durch Prävention zu leisten. Das ist eine Baustelle, die die Bundesebene anpacken muss.

Was können wir Grüne also vor Ort machen? 

Im Katastrophenschutz arbeiten Millionen von Menschen, die absolute Mehrheit davon ehrenamtlich, um im Falle einer größeren Krise Leben, Hab und Gut zu retten. Ihr kennt sie: Ob Feuerwehr, THW, DRK, Johanniter, Malteser, DLRG, Polizei und in Großlagen auch die Bundeswehr. Effektive Katastrophenvorsorge muss auch auf Gemeinde- und Kreisebene verankert sein.

Dazu habe ich euch hier einige Vorschläge zusammengeschrieben: 

Findet heraus, ob und wenn ja, auf welcher Grundlage, Risikoanalysen für die Gemeinde oder den Kreis erarbeitet werden. Dazu findet ihr im Register oben einen kurzen Musterantrag.

Die Flut im Ahrtal hat gezeigt, dass viele Gemeinden und Landkreise mit veralteten Risikokarten arbeiten und dass die Kombination von Risiken zu wenig mitgedacht wird. Beispielsweise herrschte ca. 2 Wochen vor der Flut im Ahrtal große Dürre. Es gilt also auch, die wechselseitigen Risiken mit Blick auf den Klimawandel und die neu gebaute Infrastruktur regelmäßig in aktualisierte Risikoanalysen zu übertragen.

Fragt nach: Werden ALLE Risiken mitgedacht und die einzelnen Risikokarten entsprechend zusammengedacht? Fließen zB auch Erdrutsche und Waldbrände (zunehmend auch Brandgefahr in städtischen Parks) mit in die Risikoanalyse?

Hinweis: Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird meist mit einer Jahrzahl beziffert, bei Hochwasser zB HQ10 oder HQ100. Das bedeutet allerdings nicht, dass so ein Hochwasser nur einmal alle hundert Jahre auftritt, sondern ist ein Durchschnittswert. Dieser Durchschnitt muss regelmäßig geprüft und auf die Folgen des Klimawandels aktualisiert werden: Auch da könnt ihr nachhaken und euch u.a. mit dem Landesamt für Umwelt (LUBW) dazu austauschen.


 

Hebt die Wichtigkeit von Krisenübungen hervor und überlegt, ob ihr regelmäßige Übungen, an denen auch politische Entscheidunsträger*innen teilnehmen, per Gemeinderatsbeschluss verankern könnt.

Fragt nach: Wie häufig kommen die Verantwortungsträger*innen auf politischer und Verwaltungsebene (zB der Landrat und die Krisenstäbe) zusammen, um zu üben? 

Identifiziert und bestimmt relevante Institutionen, die es vor Ort prioritär zu schützen und auf Krisen vorzubereiten gilt.

In Deutschland wurde das KRITIS Gesetz überarbeitet, und gemeinsam mit europäischer Gesetzgebung wie zB der NIS-2 Richtlinie, wird kritische Infrastruktur breiter definiert als es bisher der Fall war. Das heißt, dass Kliniken und andere relevante Gesundheitseinrichtungen (beispielsweise Apotheken), aber auch Stromnetze, Übertragunsnetzbetreiber usw. gehören zur Liste dazu. 

Darüber hinaus gibt es aber eine ganze Reihe an Institutionen, die ihr im Blick haben solltet: Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen, Sozialeinrichtungen wie Pflegeheime und Wohnheime für Menschen mit Behinderung, Flüchtlingsunterkünfte und viele mehr. Diese brauchen zugeschnittene Schutz- und Einsatzkonzepte im Katastrophenfall. Bei einer Evakuierung sollten zB bei Menschen mit Behinderung Mobilitätseinschränkungen und medizinische Bedarfe beachtet werden.

Durch hauptamtliche Unterstützung, z.B eine*r Krisenmanager*in (ggf. lohnt es sich, hier eine neue Stelle zu gründen, falls noch nicht vorhanden), sollten Notfall- und Evakuierungspläne für relevante Institutionen erstellt, geübt und evaluiert werden.


 

Krisen können schleichend verlaufen: Dafür braucht es langfristige Konzepte, die sozialverträglich gestaltet werden sollten.

z.B. Hitzewellen: Hitzeschutz durch Entsiegelung sollte nicht gleich Gentrifizierung bedeuten; lokale Förderprogramme und zB Kooperationen mit Handwerksbetrieben für hitze (und kälte)gerechte Sanierung von Dachgeschosswohnungen, die nicht zulasten der Mieter*innen gehen; Kostenloser Zugang zu Bademöglichkeiten; Ausbau von Trinkbrunnen; Klimatisierte Schutzunterkünfte (Klimaanlagen könnten hier auch mit Solaranlagen verknüpft werden).

Gemeinden und Landkreise sollten Hitzeschutzpläne erarbeiten, die auch an die Bevölkerung kommuniziert werden.

Krisenkommunikation verbessern durch eine Erweiterung der Frühwarnsysteme und der allgemeinen Kommunikationsinfrastruktur.

Multikanal-Kommunikation: Nutzung von Mobiltelefonen, E-Mails und sozialen Medien, um die Bevölkerung schnell und effektiv zu informieren. Ältere Bürger sollten über traditionelle Medien wie Radio und Fernsehen informiert werden. Aber auch der Fall eines Blackouts oder Cyberangriffs sollte klar mitgedacht werden: Es braucht analoge, sogenannte redundante Warnsysteme, beispielsweise über Ehrenamtliche, die in ihrer Nachbarschaft im Ernstfall an Türen klopfen. 

Der Katastrophenschutz braucht auch Notfallpläne für seine interne Kommunikation, zB über Notstromaggregate, und sollte diese regelmäßig testen und auf Schwächen evaluieren.

Gibt es aktuelle Kontaktdaten aller Verantwortungsträger*innen aus Politik und Verwaltung und sind diese ausgetauscht?

Interne Kommunikation optimieren: Eventuell lohnt sich der Einsatz von Managementsoftware, um die Kommunikation zwischen den Abteilungen zu erleichtern und die Zusammenarbeit zu verbessern.

Psychosoziales Krisenmanagement: Maßnahmen zur Unterstützung der Bevölkerung und Einsatzkräfte in Krisen einführen, zB über Vereinbarungen mit Psychotherapeut*innen im Landkreis.


 

Katastrophenvorsorge in der Flächennutzung mitbedenken.

Hierzu spielt u.a. die Land- und Forstwirtschaft rund um Siedlungen eine essenzielle Rolle, um zB große Wassermengen aufzunehmen. Die Forschung empfiehlt einen Mix von technischen Vorsorgemaßnahmen (zB Rückhaltebecken) mit natürlichen Lösungen (zB Entsiegelung von Überschwemmungsgebieten).

Beachtet auch, dass Katastrophen nicht an der Grenze Halt machen: Für Gemeinden an der Grenze zu Frankreich oder der Schweiz, aber auch zu Bayern, Rheinland-Pfalz oder Hessen sollte die Flächennutzung gemeinsam betrachtet werden.


 

Hilfe zur Selbsthilfe fördern: Die Zahl der Notrufe und somit auch die Belastung des Rettungsdiensts nehmen in ganz BW zu. Es ist deshalb unerlässlich, dass Kommunen und Landkreise durch Skillprogramme und gezielte Kampagnen ihre Einwohner*innen dazu ermächtigen, sich – bis zu einem gewissen Punkt – selbst zu helfen. Erste Hilfe, aber auch Sicherheitsprotokolle im Falle einer Evakuierung kennen und zB Evakuierungsorte klar ausschildern können dabei wichtige Schritte sein.


 

Regelmäßiger Austausch mit den Hilfsorganisationen und den Krisenstabsstrukturen auf den Weg bringen.

Krisenstäbe sollten regelmäßig auf ihre Funktion und Fähigkeiten evaluiert werden: Es ist wichtiger denn je, dass alle gesellschaftsrelevanten Bereiche in Stäben personell abgedeckt und entsprechend geschult sind.


 

Finanzielle Vorsorge betreiben, zB durch die Einführung von Mikroversicherungen und anderen finanziellen Schutzmaßnahmen für Privatleute und Unternehmen, um finanzielle Risiken abzumildern.


 

Ein letzter Hinweis: Übungen, wie zB Warntage, sind zum Lernen da.

Es ist in Ordnung, wenn da etwas schief läuft, denn daraus kann man Verbesserungen erzielen. Das ist ein wichtiges Element für eine neue Fehlerkultur, die wir in Deutschland im Bereich Katastrophenvorsorge dringend brauchen. 


 

Am 3. September organisiert Sarah Heim einen Bildungstag im Ahrtal. Der Tag richtet sich an Rät*innen aus Baden-Württemberg, die sich zum Thema Katastrophenvorsorge und resilienten Wiederaufbau informieren möchten.

Hier geht’s zur Anmeldung >>

Musteranfrage – Risikomanagement:

In einer Zeit der multidimensionalen Krisen ist es unabdingbar, dass die Stadt/Gemeinde XY auf verschiedenste Risiken so gut wie möglich vorbereitet ist.
Im Gegensatz zu Aktiengesellschaften, GmbHs oder KGaAs ist eine Stadt/Gemeinde nicht verpflichtet, ein (kommunales) Risikomanagement zu implementieren.

Deswegen stellen wir folgende Fragen zum Risikomanagement der Stadt Gemeinde XY:

  • Ist kommunales Risikomanagement in der Aufbau- und Ablauforganisation der Stadt/Gemeinde XY implementiert?
  • Welche Risiken sieht die Stadt/Gemeinde als die Wesentlichsten (Eintrittswahrscheinlichkeit und Verlustschwere) an?
  •   Wie sieht Ihre Reaktion darauf aus?
  •   Sind Notfallpläne vorhanden?
  •     Sind Vorgaben dokumentiert und Verantwortlichkeiten festgelegt?
  •   Wann erfolgte letztmalig eine Validierung der Prämissen?
  •   Erfolgen „Probe-Alarme“ und wenn ja, in welchem Rhythmus?

 

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

Sarah Heim studiert im Master Katastrophenvorsorge und Krisenmanagement, schreibt ihre Masterarbeit zu politischen Maßnahmen im Ahrtal nach der Flut und ist selbst vor Ort beim DRK aktiv.

Für weiteren Austausch könnt ihr euch gern bei Sarah Heim melden:

sarah.heim @ gjbw.de 

 

Am 3. September organisiert Sarah Heim einen Bildungstag im Ahrtal.

Der Tag richtet sich an Rät*innen aus Baden-Württemberg, die sich zum Thema Katastrophenvorsorge und resilienten Wiederaufbau informieren möchten.

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